Simple Leitsysteme, die Ihre Nerven schonen.

Wenn die Nutzerführung in Gebäuden oder auf Radwegen richtig konzipiert wird, schafft dies eine zurückhaltende Form von Sicherheit und Verlässlichkeit. Projektverantwortliche haben meist mit einer Reihe von Hürden zu kämpfen – umherirrende BesucherInnen sind dabei nur das Offensichtliche. Es stellen sich Fragen nach Normgerechtigkeit, Erstellungs- und Wartungskosten und wie viel grafische Originalität hier wirklich zielführend ist. Ihr wahrscheinlich wichtigster Gewinn aus einer Zusammenarbeit mit mir besteht in der Lastenreduktion: Da wir uns gemeinsam auf den Prozess statt nur auf die grafische Lösung konzentrieren, ist das Ergebnis eine auf das Wesentliche fokussierte Beschilderung an den orientierungspsychologisch effektivsten Stellen. Dies führt zu geringeren Errichtungskosten, weniger Materialverbrauch, mehr Nachhaltigkeit, einfacher Wartung und hoher Fehlertoleranz. 

Referenzen:
WKO-Tirol, Landhaus, Hofburg Innsbruck, Salurner Straße 15, Bezirkshauptmannschaften Kitzbühel, Schwaz, Lienz, Stubaital Radweg.

Case Story #1: BH Schwaz

Ob ein Leitsystem an den schwierigsten Punkten funktioniert,
bemerkt man daran, dass man es nicht bemerkt.

Ein Blick hinter die Kulissen der Leitsystemplanung für die BH Schwaz


Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz wurde 2019–2022 generalsaniert und mit einem mittlerweile preisgekrönten Neubau von Arch. Thomas Mathoy ­erweitert. Neben den üblichen orientierungstechnischen Problemstellungen (Eingänge, vertikale Erschließung, inklusive Gestaltung etc.) war im Fall der BH SZ die «Lösung der Nummerierungs- und Geschoßbezeichnungs­problematik» eine besondere Herausforderung, von der ich in meinem ersten Blog zu «simplen Leitsystemen» erzählen möchte.

Die Sache mit den Raumnummern
Die Räume des historischen Haupthauses waren zu Beginn des Projekts ab dem ersten Stock mit «H100» usw. nummeriert, sprich von der Hunderterstelle konnte konventionsgemäß das Geschoß abgeleitet werden. Dem versetzt darunter liegenden Verbindungstrakt waren hingegen die Buchstaben «A» und «B» zugewiesen worden. Die neu projektierte Bestands­erweiterung sollte den Buchstaben «C» bekommen. In den Geschoßen A wie auch B starteten alle Raumnummern mit «A». Das heißt, ein Raum im Geschoß B hatte die Nummer «A1XX», ein Raum im Geschoß A «A0XX». Entsprechend würden im Geschoß C die Räume künftig mit «A3XX» bezeichnet. Richtung Norden kam ein Bauteil T hinzu, mit «T0XX» bis «T2XX» nummeriert.

Eine knifflige Verschärfung des Sachverhalts
Der zentrale Eingang mit der Infothek ist stadtseitig ebenerdig erreichbar, liegt jedoch ein Geschoß höher als der platzseitige Zugang. Kurzum, man kann die BH SZ zweimal ebenerdig betreten, mal ein Geschoß weiter oben, mal eines weiter unten, weil das Gebäude eben in den Hang gebaut wurde. Die Information beim zentralen Eingang war beim «oberen» Erdgeschoß gedacht, also nach alter Lesart auf Ebene «B».

In welchem Geschoß soll also der Haupteingang liegen oder:
Warum sind wir nicht bei «A», «B» und «C» geblieben?
Hätten wir die Nummerierung nicht neu gedacht, dann hätte ein Telefongespräch in etwa so lauten können: «BH Schwaz, Grüß Gott. Ja, Sie finden mein Büro im A-ten Stock – nein nicht im achten – im AHhh-ten – Stock A. Wie – Sie kennen keinen Stock A? Bei uns gibt's das.» Noch ein Beispiel: Eine Kundin hat im Hauptgebäude im 3. Stock einen Termin, fährt danach mit dem Lift zurück zum Ausgang. Wo würden Sie am Liftpanel ganz intuitiv den Ausgang suchen? Taste «B»?

Die Lösung oder «Wo ist das Erdgeschoß?»
Das Erdgeschoß ist wohl am besten dort, wo der ebenerdige Haupteingang samt Infothek ist, war unsere erste Überlegung. «B» müsste in dem Fall also «0» oder «EG» werden. Wie aber erklärt man den Mitarbeiter:innen, die vom Platz her gesehen ebenso ebenerdig in ihre Büros gelangen, dass ihre Büros über Nacht sozusagen vom Geschoß «A» zu Kellerräumen geworden sind?

Sicher könnte man aus «A» das Erdgeschoß machen und «B» würde dann eben – ja, eben was? Erster Stock? Dann betreten die von der Stadt her kommenden Personen ebenerdig ein Gebäude der öffentlichen Verwaltung, das ihnen sagt, sie befänden sich ab Betreten desselben bereits im ersten Stock.

Mein Projektpartner Horst Krieg und ich blieben an der Stelle bei unserer Überzeugung, dass Haupteingang und Info im Erdgeschoß liegen müssen. Nachdem also aus «B» nunmehr «EG» wurde, trafen wir die nächste grundlegende Entscheidung aufgrund unserer zweiten gemeinsamen Überzeugung: Die Geschoßnummerierung des Haupthauses sollte so bleiben, wie sie war: Wer im angrenzenden Stiegenhaus vom EG einen Stock nach oben geht, sollte sich also im 1. OG wiederfinden.

Die zwei daraus resultierenden Probleme waren: Was passiert mit C, wenn es genau zwischen EG und 1. OG liegt, und was können wir tun, damit dann A trotz ebenerdigen Eingangs nicht zum Untergeschoß wird?

Die Lösung: Bei C besannen wir uns der altwienerischen/österreichischen Tradition des edlen Zwischengeschoßes namens «Mezzanin». Dies ist auch heute noch ein in Wien sehr gebräuchlicher Begriff und positiv konnotiert. Eine gefragte Lage also, in der früher jede:r wohnen wollte. Auch wenn das Wort in Tirol etwas weniger verbreitet ist, ist es gleichsam kein Phatasiebegriff, den man neu lernen müsste. Zudem unterstützen leichte Irritationen ja bekanntermaßen das Erinnerungsvermögen. Ich weiß nicht, wie's Ihnen geht – ich hätte mein Büro jedenfalls lieber «im Mezzanin» als auf «C».

Bleibt also die Frage nach dem bisherigen platzseitigen Erdgeschoß «A». Nun, das wurde zum «Tiefparterre» und es hat sich bis dato auch noch ­niemand darüber beklagt, nunmehr dort statt im A-ten Geschoß sein Büro zu haben.

Das Turmgebäude mit den Nummern «TXX» konnten wir elegant in das Gesamtsystem integrieren indem wir es schlichtweg als Erweiterung des Verbindungstrakts definierten mit der selben Geschoßfolge wie der Rest des Gebäudes : «Tiefparterre», «Erdgeschoß», «Mezzanin».

Das sagt der Bauherr zum Leitsystemprojekt BH Schwaz:

«Man hat vom ersten Gespräch weg das Gefühl, gehört und mitgenommen zu werden. Es ist ein kreativer Prozess und man begibt sich ergebnisoffen ‹auf die Reise›. Für mich beeindruckend war die wichtige Übung am Beginn, die Entwicklung der Grundlogik und damit verbunden die Erkenntnis, dass ein Wegleitsystem nicht darin besteht, schöne Schilder an der richtigen Stelle zu platzieren, sondern von Anfang ‹in den Schuhen des Kunden› zu denken, ebenso die Gebäudearchitektur umfassend mitzudenken.»
Dr. Michael Brandl, Bezirkshauptmann Schwaz

Das Projekt BH Schwaz (Arch. Thomas Mathoy) erhielt 2022 bei der «Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2022» einen Anerkennungspreis.


Wenn Sie Fragen zu diesem Projekt oder der Gestaltung von «simplen Leitsystemen» haben, wenden Sie sich gerne an info@ateliermariacher.at.

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